Mit dem ansteigenden Lärmpegel im Wasser verändern Menschen die akustischen Landschaften im Meer. Dabei hat die Schallbelastung unter Wasser eine ganz andere Bedeutung als an Land, da viele Meerestiere neben dem Sehsinn zur Orientierung vor allem auf ihr Gehör angewiesen sind.
Während es in den Ozeanen zunehmend lauter wird, wird auch immer deutlicher, dass die Meeresökosysteme und ihre Bewohner dadurch belastet werden. Umweltgeräusche dienen den Meereslebewesen als akustische Fühler. Sie nutzen Schall zur Kommunikation, Orientierung, Nahrungssuche, Partnersuche und Feindvermeidung. Je nach Intensität, Dauer und Kontext der Beschallung können verschiedene Effekte auftreten, die von Änderungen der Verhaltensweisen über Verletzungen bis zum Tod der Tiere reichen. Die Ermittlung dieser Effekte ist kompliziert, dennoch wurde bereits vielfach nachgewiesen, dass die Lärmbelastung Wale, Fische, Invertebraten und andere Meerestiere beeinträchtigt [1].
Man kann Schalleffekte auf marine Tiere in folgende Zonen einteilen:
- Zone der direkten Verletzung, Schädigung oder Tod
- Zone der Verhaltensänderungen
- Zone der Maskierung von biologisch relevanten Signalen
- Zone Hörbarkeit
Direkte Verletzung, Schädigung oder Tod
Schalldruckwellen und Teilchenbewegung können zu direkten Verletzungen bei Tieren führen. Explosionen sind so stark, dass Tiere direkt durch das Ereignis sterben können und auch noch in weiterer Entfernung Verletzungen ausgelöst werden. Aber auch andere Schallquellen wie seismische Untersuchungen mit Airguns, Rammungen von Fundamenten für die Windkraft, Vergrämgeräte für Robben und Wale und kleinere Explosionen können verletzend wirken.
Bei den Verletzungen werden Organ- oder Gewebsschäden, sowie permanenter und temporärer Verlust der Hörfähigkeiten unterschieden. Gewebsschäden treten insbesondere dort auf, wo luftgefüllte Räume existieren, oder wo große Unterschiede der Dichte der Gewebe (Knochen zu Muskulatur als Beispiel) gegeben sind. Abhängig von der Schallintensität können solche Schäden auch wieder verheilen.
Permanente Schäden des Gehörs (bleibende Taubheit) sind meist mit irreversiblen organischen Schäden der Nervenzellen im Gehör verbunden. Oft betrifft dies einen bestimmten Frequenzbereich, in dem Tiere taub werden, in starken Fällen kann es aber auch zu einem Verlust der Hörfähigkeiten über das gesamte hörbare Spektrum kommen. Dieser Hörverlust wird dann problematisch, wenn er direkte Kommunikation unterbindet oder behindert, oder die Nahrungssuche z.B. bei echoortenden Arten verhindert.
Temporäre Schäden des Gehörs (vorübergehende Taubheit) sind auch als „Diskoeffekt“ bekannt. Nach einem Rockkonzert wacht man oft auf und fühlt sich noch etwas taub, alle Geräusche sind dumpf. Dies liegt daran, dass die Haarzellen im Ohr durch intensive und/oder langanhaltende Geräusche gebeugt werden. Sie richten sich im Anschluss wieder auf und erholen sich. Eine häufige Wiederholung führt dann, wenn nicht eine vollständige Erholung zwischenzeitlich stattgefunden hat, zu einer permanenten Hörschädigung. Es gibt zudem Experimente an Mäusen die zeigen, dass obwohl die Haarzellen sich vollständig erholen, die Reizweiterleitung durch eine akute Schädigung der Nervenfasern zum Hörnerv und anschließende Rückbildung des Hörnervs permanent und irreversibel beeinflusst wird.
Eine für den Menschen deutlich sichtbare Folge von Unterwasserschall sind Massenstrandungen von Walen und Delfinen, die auch eine mediale Diskussion um die Auswirkungen von Unterwasserlärm ausgelöst haben. Obwohl dies sicherlich eine der schwerwiegendsten Folgen von Unterwasserschall ist, liegt hier anfänglich keine Verletzung vor. Insbesondere durch Militärsonare können tieftauchende Wale und potentiell Robben in Panik geraten und tauchen dann zu schnell auf. Bei gestrandeten Schnabelwalen und gewöhnlichen Delfinen konnte bereits gezeigt werden, dass sie einen sehr hohen Stickstoffgehalt im Blut und anderen Geweben hatten. Durch die Bildung von Stickstoffbläschen im Blut und die daraus resultierende Embolie verenden viele Tiere. Nach Militärmanövern kam es in der Vergangenheit immer wieder zu ungewöhnlichen Massenstrandungen [2]. Oftmals sterben die Tiere aber auf offener See, wo der Kadaver dann unbemerkt auf den Meeresgrund sinkt oder erst nach längerer Zeit an Land geschwemmt wird. Eine Untersuchung von lange treibenden Kadavern hinsichtlich der Todesursache ist oft aussichtslos.
Obwohl Forschungen zu diesem Thema komplex durchzuführen sind, kann man auf Grundlage von retrospektiven Untersuchungen [3] über Auswirkungen auf Taucher davon ausgehen, dass die luftgefüllten Gewebe (Lunge, Darm, Ohren) am stärksten zum Beispiel durch Explosionen gefährdet sind. Experimentell wurden solche Untersuchungen an Fischen durchgeführt und bestätigen die gravierenden Auswirkungen auf den Organismus.
Immer wieder wird diskutiert, ob bestimmte Strandungen im Zusammenhang mit dem Lärm in den Meeren stehen. Diese Vermutungen lassen sich oft nicht hinreichend belegen und es gibt auch Hinweise auf andere, natürliche Einflussfaktoren für Walstrandungen: Beispielsweise sind Massenstrandungen von Pottwalen in der Nordsee bereits seit dem Mittelalter belegt.
Verhaltensänderungen
Veränderungen im Verhalten betreffen sehr unterschiedliche Aspekte des Lebens eines Tieres. Störungen durch Schall fangen damit an, dass sich beispielsweise die Atemfrequenz oder allgemein die Stoffwechselrate verändert. Zu diesem Zeitpunkt muss das Tier noch nicht einmal aktiv wahrnehmen, dass es gestört ist. Bereits bei diesen geringfügigen Auswirkungen ist bei vielen Tierarten und besonders beim Menschen bereits eine Ausschüttung von Stresshormonen feststellbar. Bei Menschen wurde nachgewiesen, dass Stress krank macht. Der Lärm im Meer stresst die Meeresumwelt.
Weitere verhaltensbasierte Schalleffekte sind zum Beispiel die sogenannte Schreckreaktion („startle response“), die dann erfolgt, wenn ein Tier durch einen sehr kurzen, lauten Schallreiz „erschreckt“ wird. Die Schreckreaktion ist eine Schutzreaktion, die bei fast allen Säugetieren reflexartig erfolgt. Stärkere durch Lärm hervorgerufene Verhaltensänderungen sind Ausweichen und Meiden von verlärmten Bereichen. Beide Strategien bedeuten, dass die Nahrungsaufnahme kurzzeitig eingestellt wird und durch eine energieintensive Tätigkeit (z.B. die Flucht) ersetzt wird. Also entsteht so nicht nur ein Nahrungsdefizit, sondern sogar eine starke Zehrung der aufgebauten Reserven.
Abhängig von der Jahreszeit kann jede natürliche Verhaltensweise (hierzu gehören Fressverhalten, Laichverhalten, Paarungsverhalten oder Mutter-Kalb Interaktion, um nur einige zu nennen) durch Lärm beeinflusst werden. Insofern wundert es nicht, dass Forscher nach Modellen suchen, um die Auswirkungen von Störungen auf die gesamte Population oder ganze Arten untersuchen zu können. Denn jede Störung ist ein Einzeleffekt auf ein oder mehrere Einzeltiere, der sich aufsummieren kann. Stress beispielsweise ermüdet die Tiere und wirkt störend auf Paarungsaktivitäten, Beutejagd und bei der Aufzucht von Jungtieren. Diese negativen Auswirkungen auf das Verhalten einzelner Tiere können die Überlebensfähigkeit ganzer Populationen weitreichend beeinflussen. Biologen sprechen in diesem Fall von der „Fitness“ einzelner Tiere und der Gesamtpopulation [4].
Doch Lärm gefährdet nicht nur Meeressäuger. Unterwasserlärm wirkt auf viele Meeresbewohner schädlich. Bei Fischen wird z.B. das Schwimmverhalten durcheinandergebracht, Garnelen und auch Muscheln leiden unter Wachstumsstörungen, bei Hummern wurden Zellveränderungen und ein erhöhter Nahrungsbedarf festgestellt, aber auch andere Wirbellose und sogar Plankton werden negativ von Unterwasserschall beeinflusst [5]. Viele dieser Arten spielen eine wichtige Rolle für gesamte Ökosysteme und die Auswirkungen des Lärms über die verschiedenen Trophiestufen der Ökosysteme sind bislang kaum abzuschätzen.
Maskierung von biologisch relevanten Signalen
“Maskierung liegt vor, wenn die Fähigkeit ein Geräusch von Bedeutung (das maskierte Geräusch) zu detektieren und zu verstehen durch ein anderes Geräusch (das maskierende Geräusch) reduziert wird.“ [6]
Wenn anthropogene Geräusche die natürlichen Umgebungsgeräusche, die Tiere für ihre Orientierung unter Wasser nutzen, überdecken, kommt es zu einer akustischen Maskierung.
Man stelle sich einen großen Konferenzraum vor, bevor die Veranstaltung anfängt. Die Menschen treffen sich und begrüßen sich, sie machen selbst viel „Lärm“. Alle sprechen lauter und versuchen den Lärm zu ‚übertönen‘. Die Veranstaltung fängt an und die Gespräche verstummen. Die Maskierung hört dann auf und der vorne stehende Sprecher wird von allen gut verstanden.
Im Meer werden alle Geräusche durch Hintergrundgeräusche zu einem bestimmten Teil maskiert. Das ist ein natürlicher Effekt, auf den der Mensch aber durch seine Nutzung der Meere, insbesondere durch den Schiffsverkehr Einfluss nimmt. Der Grad der Maskierung wird durch den Schallpegel, die Schallfrequenz und die Dauer des Geräusches im Vergleich zum interessierenden Signal bestimmt. Studien an verschiedenen Walarten zeigen, dass viele Arten ihre eigenen Lautäußerungen als Anti-Maskierungsstrategie anpassen. Manche Arten rufen häufiger und lauter, andere seltener oder verstummen ganz und wieder andere wechseln in ein anderes Frequenzband – dieser Effekt wird auch Lombardeffekt genannt. Arktische Grönlandwale rufen in Regionen mit durch Airguns erhöhtem Hintergrundrauschen häufiger. Zwergwale vor Hawaii erhöhen die Schallpegel ihrer „Boing“ Rufe [7]. In den Meeresgebieten weltweit ändert sich die Frequenz bestimmter Blauwalgesänge in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich [8]. Auch für dieses Phänomen wird diskutiert, ob dies eine Anti-Maskierungsstrategie gegen den wachsenden Lärm in unseren Meeren darstellt.
Dass ein Tier ein Signal hören kann, ist noch kein Effekt eines Störgeräusches. Da aber die Zone der ‚Hörbarkeit‘ eines Geräusches extrem groß sein kann, ist sie für die Abschätzung von potentiell schallinduzierten Störungen von Bedeutung.
[2] Falcone EA, Schorr GS,Watwood SL, DeRuiter SL, Zerbini AN, Andrews RD, Morrissey RP and Moretti DJ (2017). "Diving behaviour of Cuvier’s beaked whales exposed to two types of military sonar." Royal Society Open Science 4(8): 170629. DOI: 10.1098/rsos.170629.
[3] Lance RM, Capehart B, Kadro O and Bass CR (2015). "Human Injury Criteria for Underwater Blasts." PLoS ONE 10(11): e0143485. DOI:10.1371/journal. pone.0143485.
[4] National Research Council (2005). "Marine Mammal Populations and Ocean Noise: Determining When Noise Causes Biologically Significant Effects." Washington, DC: The National Academies Press. DOI: 10.17226/11147.
[5] Ocean Care (2014). "Im Lärm ertrinken - Aufruf für internationale Massnahmen zum Schutz der Meeresfauna." veröffentlicht im Schattenblick, Umwelt, Internationales, Meer/119.
[6] Erbe C, Reichmuth C, Cunningham K, Lucke K and Dooling R (2015). "Communication masking in marine mammals: A review and research strategy". Marine Pollution Bulletin 103(1-2). DOI: 10.1016/j.marpolbul.2015.12.007.
[7] Gavrilov AN, McCauley RD, Salgado-Kent C, Tripovich J and Burton C (2011). "Vocal characteristics of pygmy blue whales and their change over time." The Journal of the Acoustical Society of America 130(6): 3651-60. DOI: 10.1121/1.3651817.
[8] McDonald MA, Hildebrand JA and Mesnick S (2009). "Worldwide decline in tonal frequencies of blue whale songs." Endangered Species Research 9(1):13-21. DOI: 10.3354/esr00217.